Textiltechnik: Gewebe, Maschenware, Filze und Vliesstoffe

Textiltechnik: Gewebe, Maschenware, Filze und Vliesstoffe
Textiltechnik: Gewebe, Maschenware, Filze und Vliesstoffe
 
Textile Flächen oder Flächengebilde nennt man zweidimensionale Textilerzeugnisse, die nach verschiedenen Techniken aus Fasern hergestellt werden, wie beispielsweise Gewebe, Geflechte, Maschenwaren, Filze und Teppiche. Textile Flächen werden direkt aus den Fasern (Filze und Vliesstoffe), aus Garnen (Gewebe, Maschenwaren, Geflechte) oder einer Kombination beider gebildet (Nähgewirke, kaschierte Flächen).
 
 
Eines der ältesten Verfahren zur Herstellung von Textilien ist die Weberei. Schon in prähistorischer Zeit erkannten die Menschen, dass sich durch Aufspannen von Kettfäden und durch quer dazu verlaufende Schussfäden ein recht stabiles zweidimensionales Produkt erzeugen lässt. Um kleinflächige Textilien herzustellen, konnte man noch mit relativ primitiven Hilfsmitteln wie Webrahmen auskommen. Größere Flächen lassen sich nur mithilfe von Webstühlen herstellen. Die ältesten Webstühle wurden bereits um 6000 vor Christus in der Türkei gefunden.
 
Auch bei den heutigen Webmaschinen werden Kett- und Schussfäden im rechten Winkel miteinander verkreuzt. Die Kettfäden sind in Längsrichtung der Gewebeherstellung angeordnet, die Schussfäden verlaufen quer dazu.
 
Zur Vorbereitung des Webens werden die Kettfäden in die Maschine eingespannt. Sie bilden eine Fläche von parallelen, eng aneinander liegenden Fäden, die über verschiedene Walzen, Stäbe und durch die Litzenaugen der Schäfte (Schaftweben) oder Harnischschnüre (Jacquardweben) geführt werden. Der Arbeitsprozess beginnt durch Anheben eines Teils der Kettfäden. Dabei bildet sich ein Raum zwischen den Kettfäden, das »Fach«, durch das im nächsten Schritt der Schussfaden durchgezogen wird. In den Handweberei oder bei veralteten Webautomaten zieht ein Garnträger (Schützen) den Schussfaden durch das Fach. Schützenlose Webmaschinen, bei denen der Schussfaden mittels Projektil, Greifer, Luft- oder Wasserstrahl durchgeschossen wird, arbeiten schneller, leiser und erschütterungsärmer. Im anschließenden Schussanschlag presst der Webkamm den Schussfaden gegen bereits gesetzte Schussfäden. Nun werden die zuvor angehobenen Kettfäden wieder abgesenkt und andere angehoben. So entsteht ein neues Fach, durch das der Schussfaden zieht. Je nachdem, welche Kettfäden in welcher Reihenfolge angehoben werden, entstehen unterschiedliche Musterungen. Die Art der Verkreuzung von Kett- und Schussfaden bezeichnet man als Bindung.
 
Neben diesen Geweben aus zwei Fadensystemen gibt es auch solche aus drei Fadensystemen. Hierzu zählt der Samt. Dabei wird ein zusätzlicher Faden eingewebt, der entlang der Kette oder des Schusses Schlingen bildet. Die Schlingen werden aufgeschnitten und bilden dann eine weiche Haardecke, deren Fasern senkrecht nach oben stehen.
 
 
Das typische Zeichen von gewebten Textilien sind die sich rechtwinklig kreuzenden Fäden. Zu einer ganz anderen Struktur führt das Wirken, bei dem sich die Fäden in maschenförmigen Schleifen verschlingen — die entstehende textile Fläche wird als Maschenware bezeichnet. Im Wesentlichen werden Gestricke (Einfadengewirke) und Kettengewirke unterschieden. Einfadenware kann aufgezogen werden und Laufmaschen bilden. Der Faden verläuft bei Gestricken und Einfadengewirken in Warenquerrichtung. Bei Kettengewirken hingegen verlaufen die Maschen bildenden Fäden in Längsrichtung hauptsächlich im Zickzack durch die Ware. Sie lassen sich nicht ohne weiteres aufziehen und sind weitgehend laufmaschenfest.
 
Moderne Strickmaschinen bilden die textile Fläche mittels einzeln beweglicher Nadeln, die einen Faden zu Maschen formen. Single-Jersey beispielsweise wird an einer Nadelreihe hergestellt, in der sich Reihen mit rechten und linken Maschen abwechseln (Linksrechts-Bindung). Die Ware zeigt somit eine rechte und eine linke Maschenseite. Feinripp wird dagegen an zwei Nadelreihen hergestellt, an denen sich die Nadeln versetzt gegenüberstehen. In einer Reihe wechseln rechte und linke Maschen ab, die für die Querelastizität sorgen. Beide Warenseiten zeigen rechte Maschen, die linken Maschen erkennt man erst beim Spannen der Ware. Nicki und Plüsch sind Ableitungen der Links-rechts-Bindung, bei der noch ein dritter Faden eingearbeitet wird.
 
Kettengewirke entstehen aus mindestens einem Kettfadensystem, wobei jeder einzelne Kettfaden von einer Nadel geführt wird. Zur Herstellung einer Maschenreihe werden alle Nadeln gemeinsam bewegt und nicht hintereinander wie bei der Strickerei. Für die nächste Reihe werden die Nadeln um eine Position versetzt, was zu der gewünschten Verkettung der Fäden führt.
 
Maschenwaren sind elastischer und meist lockerer als Gewebe und können ihre Form innerhalb eines gewissen Spielraumes ändern. Daher schmiegen sie sich besser an den Körper an und folgen beim Tragen leichter den Körperbewegungen als Gewebtes. Sie sind sowohl in Längs- als auch in Querrichtung elastisch. Maschenwaren knittern weniger als Gewebe, und sie ermöglichen einen guten Luft- und Feuchtigkeitsaustausch. Die dichteren Gewebe schützen allerdings besser vor Wind und sind haltbarer und formstabiler.
 
 Faserverbundstoffe
 
Filze und Vliese werden direkt, ohne Spinnen und Weben oder Vermaschen, aus Fasern hergestellt, wobei die Einzelfasern mehr oder weniger wirr übereinander liegen. Bei den Filzen werden die einzelnen Fasern untereinander auf mechanischem Weg verfestigt, Vliesstoffe können durch mechanische, thermische oder chemische Verfestigung gebildet werden.
 
Wolle und andere Tierhaare verfilzen durch Reibung, Wärme, Feuchtigkeit und Laugen, und zwar, indem die Schuppen der Faseroberfläche miteinander verhaken. Wer eine Wollsocke versehentlich in der Waschmaschine gewaschen hat, kennt den Effekt: Die Socke ist um mehrere Schuhgrößen geschrumpft und recht fest geworden. Was im Haushalt ein Versehen ist, wird bei der Filzherstellung absichtlich durch maschinelles Stauchen, Klopfen und Pressen herbeigeführt.
 
Echte Filze werden aus einem Faserflor gewonnen, unechte Filze aus zuvor gewebten Flächen, die in der Walkmaschine verfilzt werden. Walkfilze sind fest, strapazierfähig und wärmend. Bei Nadelfilzen wird der Faserflor von Nadeln mit Widerhaken durchstoßen (360 bis 720 Einstiche je Quadratzentimeter) mit dem Effekt, dass Faserbüschel an die Faserflorunterseite gezogen werden und hier zu einem festen Gebilde verschlingen. Meist werden die Nadelfilze zusätzlich auf chemischem Weg verfestigt. Da sie oft aus Chemiefasern hergestellt werden, sind sie leicht und elastisch.
 
Vliesstoffe sind poröse Flächengebilde aus Einzelfasern, die über die gesamte Dicke und Breite durch Verkleben und Verschweißen miteinander verbunden sind. Die Verbindung kann punktuell, zonenweise oder auf der gesamten Fläche bestehen. Vliese werden aus Natur- und Chemiefasern nach verschiedenen Verfahren hergestellt. Ausgangsstoff kann ein Faserband sein, wie es in der Spinnvorbereitung gebildet wird. Werden vereinzelte Fasern direkt auf Siebtrommeln angesaugt und zum Verfestigen auf eine bestimmte Höhe geschichtet, spricht man von Trockenvliesen. Werden sie ähnlich der Papierherstellung auf ein Sieb angeschwemmt, bezeichnet man das fertige Produkt als Nassvlies. Vliesstoffe fasern nicht aus und sind schnittsauber. Daher eignen sie sich als Einlagen, Putztücher oder Füllungen für Steppdecken.
 
Dr. Cornelia Voss
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Textilveredlung: Veränderung von Fasern
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Textiltechnik: Garne
 
 
Adebahr-Dörel, Lisa, u. a.: Kleine Textilkunde. Hamburg 151997.
 Adebahr-Dörel, Lisa / Völker, Ursula: Von der Faser zum Stoff. Textile Werkstoff- und Warenkunde. Hamburg 311994.
 
Beurteilungsmerkmale textiler Faserstoffe, bearbeitet vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin. 4 Bände. Bielefeld 1986.
 
Fachwissen Bekleidung, Beiträge von Hannelore Eberle u. a. Haan 51998.
 
Grundlagen textiler Herstellungsverfahren, bearbeitet von Rolf Goldacker u. a. Leipzig 1991.
 Heudorf, Claus: Warenverkaufskunde für den Textilhandel. Rinteln 51994.
 Schierbaum, Wilfried: Bekleidungs-Lexikon. Berlin 31993.
 Seiler-Baldinger, Annemarie: Systematik der textilen Techniken. Neuausgabe Basel 1991.
 
Textile Faserstoffe. Beschaffenheit und Eigenschaften, herausgegeben von Wolfgang Bobeth. Berlin u. a. 1993.

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Kleidung — Anziehsachen (umgangssprachlich); Sachen (umgangssprachlich); Outfit; Zeug (umgangssprachlich); Gewand; Garderobe; Kleider; Bekleidung; Klamotten ( …   Universal-Lexikon

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  • Textilveredlung: Veränderung von Fasern —   Schon in früheren Zeiten haben die Menschen versucht, das Aussehen und die Trageeigenschaften von Kleidern zu verbessern, und sie durch Bleichen, Färben, Bemalen und Bedrucken zu verschönern oder durch Walken und Scheren strapazierfähiger oder… …   Universal-Lexikon

  • Vliesstoff — Vlies * * * Vlies|stoff [mhd. vlius, vlus = Schaffell, Rohwolle]: aus Textilfasern durch Verwirbeln, Verschlingen, Vermaschen, Vernadeln u. anschließendes Verfestigen hergestellte textile Flächengebilde. * * * Vlies|stoff, der: durch Verkleben… …   Universal-Lexikon

  • Wirkerei — 1 66 die Strumpffabrik 1 der Rundstuhl (die Rundstrickmaschine) zur Herstellung von Schlauchware f 2 die Fadenführerhaltestange 3 der Fadenführer 4 die Flaschenspule 5 der Fadenspanner 6 das Schloss 7 das Handrad zur Führung des Fadens m hinter… …   Universal-Lexikon

  • Textilindustrie — Tex|til|in|dus|trie auch: Tex|til|in|dust|rie 〈f. 19〉 Gesamtheit der Unternehmen, die Textilien herstellen u. verarbeiten; Sy Textilhandel (2) * * * Tex|til|in|dus|t|rie, die: Industriezweig, der Waren aus Textilien herstellt. * * *… …   Universal-Lexikon

  • Weberei — We|be|rei 〈f. 18; Textilw.〉 I 〈unz.〉 das Weben u. alle Vorgänge, die damit zusammenhängen II 〈zählb.〉 1. Betrieb, in dem Gewebe hergestellt werden 2. das Gewebte, Webarbeit * * * We|be|rei, die; , en: 1. <o. Pl.> das ↑ Weben (1) …   Universal-Lexikon

  • Filz — Vetterliwirtschaft (schweiz.); Sumpf der Korruption; Speziwirtschaft (umgangssprachlich); Vetterleswirtschaft; Nepotismus (fachsprachlich); Kungelei; Günstlingswirtschaft; Spezlwirtschaft (bayr.) ( …   Universal-Lexikon

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